ABAU-Genossenschaft Telli: «Gemeinsam sind wir stärker»
Seit wenigen Wochen ist der Ersatzneubau der ABAU-Wohnbaugenossenschaft in der Telli bewohnt. Die Baumaschinen sind abgezogen, die Umgebung ist bereit, im Frühjahr zu grünen, und nachbarschaftliche Beziehungen werden neu geknüpft. Es wurden wieder ähnlich grosse Häuser gebaut mit einem Begegnungsraum, der in Bezug steht zur gesamten Siedlung Telli. Was ist aber so besonders am Wohnen in einer Wohnbaugenossenschaft? Weshalb entscheidet man sich für diese Wohnform? Die Tellipost ging auf Spurensuche.
Eine ältere Mieterin erzählt mit etwas Wehmut, dass sie seit vielen Jahren in der Telli wohnt und zuschauen musste, wie ihr altes Zuhause dem Neubau wich. Aber jetzt ist sie sehr zufrieden, vor allem der Lift im Haus und die praktische Dusche vereinfachen das Leben im Alter – denn in ein Altersheim umziehen wollte sie noch nicht. Eine jüngere Frau und Mutter kannte die ABAU-Genossenschaft von früher und hat sich nun für den Ersatzneubau wieder beworben. Ihre Gründe sind vielschichtig: Der Umgang mit Kindern in einer Genossenschaft ist sehr angenehm, eine kinderfreundliche Umgebung und andere Familien ermöglichen entspanntes Wohnen. Der zahlbare Mietzins spielte bei der Entscheidung für eine Genossenschaft auch eine Rolle.
Vor allem aber ist es das gemeinschaftliche Zusammenleben. Die Familie hat sich bewusst für eine zentrale Wohnung entschieden, so sieht man, was in der nächsten Umgebung passiert. Man hat zwar seine Privatsphäre, aber man spürt die Nachbarn. Diese Transparenz muss man allerdings mögen. Das Miteinander und Füreinander ist aber so wertvoll, dass es einem ein Leben lang hilft, auf der zwischenmenschlichen Ebene zu wachsen. Es entstehen sogar Freundschaften – allerdings braucht das alles seine Zeit. Diese Erfahrung hat die junge Familienmutter schon am vorherigen Wohnort in der Genossenschaft gemacht. Die grosse Diversität und die verschiedenen Lebenssituationen, welche die unterschiedlich grossen Wohneinheiten ermöglichen, machen Lust, miteinander in Kontakt zu treten, einander kennenzulernen und miteinander einen Weg zu gehen.
Die Genossenschaft legt viel Wert auf Eigeninitiative der Mietenden: Reinigungspflichten müssen selbstständig ausgehandelt werden, man ruft nicht einfach den Hauswart, wenn ein Abfallkübel fehlt. Wie das wird, wenn es einmal richtig Schnee hat, müssen die neuen Mieterinnen und Mieter noch herausfinden. Klar ist, dass Initiative von allen gefordert wird. Aber das macht es ja aus, das Leben in der Wohnbaugenossenschaft: Man kommt in Kontakt miteinander, man löst die Probleme des Zusammenlebens gemeinsam. Zur vereinfachten Kommunikation untereinander existiert eine App. Die neuen Technologien werden auch hier eingesetzt, um Menschen möglichst unkompliziert in Kontakt zu bringen.
«Zusammen sind wir stärker» – auf dieser einfachen Idee beruhen Genossenschaften. So steht es auch auf der Homepage der ABAU. Genossenschaften sind Zusammenschlüsse von Personen, die gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen. Das ist auch in der Telli so. Hier leben Menschen, die mehr wollen als einfach nur eine Wohnung mieten. Wer hier wohnt, ist bereit, Verantwortung zu übernehmen und mitzugestalten. Man wohnt nicht nur hier, man lebt hier. Ein aktives Gemeinschaftsleben mit Anlässen, Freizeitangeboten und sozialen Dienstleistungen, eine gute Durchmischung von unterschiedlichen Generationen und eine familienfreundliche Umgebung machen das Leben attraktiv.
Mieterinnen und Mieter sind in der Regel auch Mitglieder der Genossenschaft. Sie bezahlen kein Mietzinsdepot, sondern lösen Anteilscheine der Genossenschaft und sind damit auch Mitbesitzer. So können sie auch mitbestimmen, was in und mit den genossenschaftlichen Bauten und der Umgebung geschieht. Das Wohnen in einer Wohnbaugenossenschaft ist etwas zwischen Miete und Kauf. Diese Wohnform bietet noch weitere Vorteile: Immobilien können nicht einfach verkauft werden und sind so langfristig der Spekulation entzogen, und die Mieterinnen und Mieter geniessen einen hohen Kündigungsschutz. Genossenschaften verrechnen nur eine Kostenmiete, also nur so viel, wie eine Wohnung wirklich kostet. Der Gewinn wird optimiert für alle und nicht maximiert für wenige.
Dann ist da noch das «Prinzip der offenen Tür». Es bedeutet nicht, dass es keine Schlösser an den Türen der Siedlung gäbe, aber es bedeutet, dass ein Eintritt oder Austritt aus der Genossenschaft jederzeit möglich ist. Man ist nicht verpflichtet, lebenslang am selben Ort zu wohnen. Aber wenn ich dazugehöre, muss ich die inneren Unternehmenswerte wie direkte Demokratie und klar definiertes Mitbestimmungsrecht mittragen. So ist die Generalversammlung das oberste Organ, sie wählt den Vorstand, welcher die Geschäfte der Genossenschaft zusammen mit der Geschäftsstelle leitet. Wer sich intensiver engagieren möchte, kann sich auch für die Vorstandsarbeit zur Verfügung stellen.
Die Gründersiedlung der ABAU aus dem Jahr 1948 war in die Jahre gekommen, und so hat die allgemeine Wohnbaugenossenschaft Aarau und Umgebung ABAU entschieden, mit Workshops zum Ersatzneubau Telli zu starten. Ziel des Mitwirkungsprozesses, der 2019 begann, war die Entwicklung von Leitlinien als Grundlage für das Bauprojekt Telli. So entstanden die acht Leitsätze, welche dem Architekturteam weitergegeben wurden. Jede Meinung hatte in der Diskussion Platz, und der Prozess war ergebnisoffen.
Wenn ein Projekt so aufgegleist wird, ist die Chance gross, dass alle Beteiligten sich längerfristig engagieren und das Projekt auch zu ihrem eigenen machen. Schliesslich war man sich einig, dass man ein naturnahes Wohnumfeld wollte. Dazu gehört auch ein Mobilitätskonzept, welches autoarmes Wohnen fördert. Gemeinschaftsräume im Innen- und Aussenbereich sollen gemeinschaftliche Aktivitäten und das Zusammenleben fördern und auch für das Quartier zugänglich sein. Die Siedlung soll nicht ein abgeschlossener Raum für wenige Auserwählte werden, sondern räumlich und funktional mit dem Quartier verbunden sein. Die unterschiedlichen Wohnungsgrössen ermöglichen das Wohnen im Ersatzneubau Telli während verschiedener Lebensphasen. Wohnen und Arbeiten am selben Ort ist in den letzten Jahren mit zunehmendem Homeoffice zu einem Bedürfnis geworden, welchem auch der genossenschaftliche Wohnungsbau in unserem Quartier Rechnung trägt. Erfreulich, wenn so durchlässiges Leben, Begegnungen und nachbarschaftliche Vernetzung in der Telli ermöglicht wird.
Den Genossenschafterinnen wird in den nächsten zwei Jahren eine Siedlungscoach zur Seite gestellt, die ihnen hilft, sich im genossenschaftlichen Leben zurechtzufinden und allfällige Probleme gemeinsam zu lösen. Im Sommer 2025 sollen dann die anderen Genossenschafterinnen im Quartier (66 Wohnungen) in den Prozess mit eingebunden werden, da alle zusammen dann die Siedlung Telli darstellen.
Katharina Barandun, welche die Aufgabe des Siedlungscoachs für die ABAU übernommen hat, sagt dazu: «Ich bin eine Nachbarschaftsbauerin!» Prozesshaft soll nachbarschaftliches Zusammenleben gefördert werden. Sie hilft herauszufinden, welche Bedürfnisse da sind, welche Möglichkeiten gegeben sind, und vor allem unterstützt sie die Mieterinnen und Mieter beim gegenseitigen Kennenlernen, denn: «Wenn sich Nachbarn kennen, sind sie eher bereit, Konflikte selber zu lösen. So kann auch die Verwaltung entlastet werden.» Auch sollen sogenannte «Möglichkeitsräume» geschaffen werden, das heisst etwa, im Garten wird ein Fest organisiert oder im Gemeinschaftsraum ein Spieleabend.
Ein Siedlungscoach ist aber nur ein Angebot auf Zeit, gewöhnlich ein bis zwei Jahre, danach sollte die Wohngemeinschaft ihr Zusammenleben so organisiert haben, dass alle ihren je eigenen Raum und Platz gefunden haben und gemeinschaftliches Wohnen für alle zur Freude wird.
Mehr zu ABAU und Coach unter:
www.abau-telli.ch oder
www.siedlungscoach.com





Publiziert in der Tellipost Nr. 514 Januar 2025
Text: Jeanine Kosch
Fotos: Hansueli Trüb, Jeanine Kosch