Nacht-und-Nebel-Aktion erbost Tellianerinnen und Tellianer

Ein grosser Umbau eines Einkaufszentrums ist ein komplexes Geschehen mit vielen Akteuren. Das erleben wir grad im Einkaufszentrum Telli. Am 27. März fand anlässlich der Eröffnung des umgebauten Obergeschosses bereits eine kleine Feier statt. Die Besucher*innen konnten sich über verschiedene Aktivitäten und ein attraktives Gewinnspiel freuen. 2026 werden wir die Gesamteröffnung mit einem grossen Fest feiern dürfen. Doch etwas überschattet die Freude auf Neues und Schönes: Die leidige Geschichte mit den neuen Einkaufswagen. Das Alleinstellungsmerkmal der Telli – mit dem Wägeli vom Laden bis zum Kühlschrank – hat abrupt ein Ende gefunden, ohne Vorwarnung, ohne Gespräche.

Die Zeiten ändern sich – aber nicht nur zum Guten

Wo gibt es das schon: Ich kaufe Milch, Bier, Gemüse und andere Dinge des täglichen Lebens ein, lege sie nach der Kasse wieder in den Einkaufswagen und fahre damit bis vor meinen Kühlschrank. Danach bringe ich den Einkaufswagen zu einer Sammelstelle bei den Briefkästen. Fertig! Kein mühsames Umfüllen in Taschen und zu kleine Postiwägeli, kein sich Abschleppen mit zu schweren Säcken. Einfach toll!

Dem ist nun leider nicht mehr so: Eines Montagmorgens waren die alten Wägeli ersetzt und es gab ein neues Modell, welches zwar auf das in die Garage führende Rollband mit-genommen werden kann, aber nicht mehr aus dem Zentrum heraus, weil eine magnetische Sperre die Räder blockiert. In den ersten Tagen gab es dementsprechend auch ein Chaos: Blockierte Einkaufswagen überall. Hauswart und Geschäftsführer im Dauereinsatz, erboste Kundinnen und Kunden, welche ihre Wut beim erstbesten Mitarbeiter und unschuldigem Personal deponierten.

Schade, dass es keine Ankündigung der Änderung gab! Weder der Quartierverein, noch das Gemeinschaftszentrum oder das Forum Mittlere Telli, weder die Verwaltung der Telliblöcke noch die Stadtverwaltung wurden informiert oder in den Entscheid einbezogen. Einzig eine Informationstafel in deutscher Sprache informierte über die vollzogene Veränderung. Menschen, die Deutsch nicht oder nur wenig verstehen, verstanden nicht, was da eigentlich grad passiert.

Auf eine unmittelbare Nachfrage des Quartiervereins Telli kam folgende Antwort seitens Coop:

«Die Einführung der neuen Einkaufswagen im Telli-Center ist notwendig aufgrund des neu installierten Rollbandes, welches das Erdgeschoss mit dem Untergeschoss verbindet. Die Räder der neuen Einkaufswagen sind speziell auf das Rollband abgestimmt und rasten beim Gebrauch ein, um ein versehentliches Wegrollen zu verhindern. Verschiedene Untergründe wie Pflastersteine und Kieselsteine führen jedoch dazu, dass die Räder beschädigt werden, was das Einrasten im Rollband verhindert. Aus diesem Grund dürfen die Einkaufswagen nicht mehr ausserhalb des Einkaufszentrums mitgeführt werden. Wir verstehen, dass das Mitnehmen der Einkaufswagen eine sehr beliebte Einkaufshilfe war, jedoch bildete das Einkaufszentrum Telli hier schweizweit eine Ausnahme. Umso mehr gilt es auch schätzen, dass dieses Agreement über Jahre so toleriert und als Goodwill seitens Coop geführt wurde. Wir bedauern sehr, dass wir Ihnen und dem Quartier diesbezüglich keine Alternative mehr anbieten können. Trotzdem hoffen wir, dass wir Sie als geschätzte Kunden weiterhin bei uns begrüssen dürfen.»

Schade, dass eine so lange Tradition ein solches Ende finden soll. Die Tellipost hat recherchiert, wie es früher war.

Zur Geschichte der Postiwägeli in der Telli

Diese Geschichte ist lang: Nachdem vor über 50 Jahren die ersten Leute in die Telliblöcke eingezogen waren und sich täglich im nahen Tellizentrum mit dem Lebensnotwendigen eindecken konnten, fand man im ganzen Quartier überall verlassene Postiwägeli. Man entschied sich, Nebenjobs für Schüler zu schaffen: Sie sammelten die Wägeli ein und bekamen dafür Gutscheine oder et-was Geld. Nachdem diese Lösung nicht befriedigend war, übernahmen die Hauswarte die Aufgabe der «Wägelisammlung».

Seit einigen Jahren – und bis heute – wurden die Einkaufswägeli regel-mässig vom Coop-Personal mit einem elektronischen Zuggefährt eingesammelt. Die AXA warb sogar auf ihrer Homepage mit diesem Service und der damit verbundenen hohen Wohn- und Lebensqualität.

Seitens Coop war es zwar ein zusätzlicher Aufwand, aber auch Werbung. Diese spezielle Regelung war ein Markenzeichen der Telli. Es gab so-gar Leute, vor allem ältere oder geh-behinderte Menschen, die deshalb in die Telli zogen. Die Telli war weit-herum für diese Regelung bekannt. Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuss sind, können lange ihre Selbstständigkeit beim Einkaufen bewahren, wenn sie mit einem stabilen Einkaufswagen bis vor den Kühl-schrank fahren können. Und so mancher Schwatz unter Nachbarn kam beim Einkaufen zustande.

Nun schuf Coop ohne Vorankündigung von einem Tag auf den an-deren neue Tatsachen. Ein einsamer Entscheid ohne Einbezug der oben genannten Akteure. Die Kundinnen und Kunden wurden schon gar nicht befragt. Gross war deshalb auch der Un-mut bei den Betroffenen, als eines Tages Plakate meldeten, ab sofort seien neue Einkaufswagen in Be-trieb, welche nicht mehr ausserhalb des Zentrums verwendet werden können. «Die spinnen», war noch ein freundlicher Kommentar. «Wenn das so bleibt und ich eh das Auto nehmen muss, fahr ich grad ins Wynencenter», meinte eine andere Kundin. Einige haben sich andere «Notszenarien» ausgedacht: Sie haben sich ein altes Wägeli ergattert und nehmen es mit in die Wohnung oder wenigstens ins Treppenhaus. Wieder andere nehmen einfach die Einkaufswagen für die Rollstuhlfahrenden mit.  Zwei andere Frauen fordern, man solle eine Unterschriftensammlung machen, um für die bisherige Lösung zu kämpfen. Klar ist der Unmut gross.

Die Lösung ist weder kundenfreundlich noch ökologisch. Coop, der sich immer umweltbewusst gibt, provoziert zusätzliche Autofahrten und Onlinehandel. Wie das mit dem Engagement «Taten statt Worte», welches in über 400 Massnahmen ökologisch und nachhaltiges Verhalten von Coop anpreist, zusammen-geht, ist ein Rätsel.

Neue Einkaufswagen für ein Roll-band, welches vor allem autofahren-den Kunden nützt und die Kundin-nen und Kunden im Quartier – davon 800 über 65-Jährige – benachteiligt bzw. diese zum Benutzen des Autos zwingt, ist nicht wirklich umwelt-bewusstes Handeln!

Gespräche

Wir dürfen gespannt sein, ob es den Beteiligten gelingt, dieses Alleinstellungsmerkmal der Telli zu bewahren und so Kundenbindung und Lebens-qualität zu gewährleisten. Lösungsmöglichkeiten gäbe es zahl-reiche, wenn man nur miteinander reden würde. Verschiedene Statements, welche der Tellipost vorliegen, zeigen, dass man einerseits den Grossverteiler, welcher in ein neues Zentrum investiert, versteht, aber man versteht den kommunikations-losen Alleingang nicht.

So schreibt etwa AXA:

«Dass künftig die Einkaufswagen nicht mehr vom Telli-Center mit in die Passerellen der Wohngebäude genommen werden können, bedauern wir, so war die bisherige Lösung doch ein Mehrwert für die Siedlung. Dass der Entscheid bei den Bewohnerinnen und Bewohnern daher für Unmut sorgt, können wir verstehen.

Dass die neuen Modelle aus Sicherheitsgründen nicht aus dem Center entfernt werden können, ist eben-falls nachvollziehbar. Wir haben uns mit Coop geeinigt, dass bei zu-künftigen Praxisänderungen, welche eine grosse Mehrheit der Telli-Bewohner*innen betreffen, eine offizielle Kommunikation an die Liegenschaftsverwaltungen und Grundeigentümerinnen erfolgt, damit die Mieterinnen und Mieter entsprechend informiert werden können.» 

Auch die Stadt Aarau nahm Stellung: Es bestehe zwar keine verbindliche Grundlage für den Erhalt der Einkaufswagen, aber der Grund-gedanke der vorbildlich geplanten Arealüberbaung Mittlere Telli bestand in der Entflechtung von Fussverkehr und motorisiertem Verkehr. Die Infrastruktur sollte so den Bedürfnissen der Bewohnenden entsprechen. Dass das Fussverkehrsnetz schwellenfrei gestaltet wurde, sollte für ältere und mobilitätseingeschränkte Personen möglichst an-genehm sein. Die Idee dahinter: Man sollte mit dem Einkaufwagen direkt vom Einkaufsgeschäft bis an den Kühlschrank in der eigenen Wohnung kommen.

Dieser Gedanke sei auch heute noch wünschenswert und zeit-gemäss, schreibt die Stadt. Denn auch für die Stadt würde das ihren Mobilitäts- und Klimazielen entsprechen.

Wie weiter?

Alle Betroffenen finden es sehr wichtig, das Gespräch mit Coop wenigstens jetzt zu suchen – leider erst nach vollendeten Tatsachen. Die Bereitschaft zu Gespräch und Austausch war und ist immer noch da.

Viele Mails gingen in den letzten Wochen hin und her.

Man versteht, dass Coop in den letzten Jahren mit diesem Service Kosten und Zusatzaufwand hatte – aber das Zentrum hatte mit den Tellianerinnen und Tellianern auch einen festen Umsatz.

Es sind auch bereits einige alternative, durchaus kreative Lösungen angedacht. Wir hoffen, dass der Dia-log zwischen Coop, der Stadt, dem Quartierverein, dem Gemeinschafts-zentrum, den Eigentümerschaften der Telliblöcke und den Bewohnerinnen und Bewohnern der Telli nicht abbricht.  Eine gute Lösung des Problems für alle sollte möglich sein, denn wo ein Wille, da ist auch ein Weg.


Publiziert in der Tellipost Nr. 515 Mai 2025
Text: Jeanine Kosch
Fotos: Jeanine Kosch